Erinnerungen an Damals: Die Sofi am 11.08.1999 über Europa oder die Jagd nach der Wolkenlücke

Am Vortag der Sonnenfinsternis verkündeten die Radio- und Fernsehsender, dass das Wetter in Deutschland am SoFi-Tag ziemlich regnerisch sein würde. Die größte Wahrscheinlichkeit für eine Wolkenlücke, gerade zur Totalität, sei im Chiemgau zu finden. Nun gut, dachte ich mir, ich wohne ja mitten im Chiemgau, also werde ich die Totalität auch sehen, noch dazu hatte ich Urlaub!

Da ich aber unseren Wetterfröschen nicht so recht traue, habe ich trotzdem mit meinen Kindern die ganze Ausrüstung reisefertig gemacht – zur Sicherheit!

Am Abend riss dann die Wolkendecke von Westen her auf (Fön!) und die Sterne waren zu sehen.

Mit etwas gemischten Gefühlen – bleibt es klar oder nicht?… gingen wir ins Bett. Ich stellte mir noch den Wecker auf 5:30 Uhr. Zu dieser Zeit wollte ich mir nochmal das Wetter betrachten.

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Pünktlich um 5:30 Uhr reißt mich der Wecker aus meinem schönen SoFi-Traum und ich denke mir: Ist die SoFi schon vorbei? Ach nein, war nur ein Traum! Ich reiße die Vorhänge auf und… Wolken wohin man sieht, ziemlich dicke Wolken – verdammt dicke Wolken!

Mein Gott! Was tun! Ich wecke meine Frau auf und wir beraten, gehen nach draußen, sehen den wolkenverhangenen Himmel an. Fahren wir Richtung Ungarn? Bleiben wir da? In Ungarn ist das Wetter beständiger und laut Wetterberichten besser! (und laut Aussage des Bruders, der bereits seit gestern Abend in der Nähe von Graz ist – er wollte unbedingt fotografieren und filmen und ihm waren die Aussagen der Wetterfrösche zu schlecht).

Erst einmal wecken wir die Kinder auf. Diese sind natürlich begeistert von der Idee Richtung Ungarn zu fahren!

Schnell ist die gesamte Ausrüstung (Teleskop, 2 Fotoapparate,eine Videokamera sowie das gesamte Zubehör ) ins Auto geschafft – die Kinder packen ebenfalls fleißig zu.

Um 7:00 Uhr ist das Wetter immer noch ziemlich schlecht. Hin und wieder zeigt sich eine winzige Wolkenlücke. Vogel müsste man sein und über den Wolken fliegen können.

Um 7:15 fahren wir noch schnell beim Bäcker vorbei und ab auf die Autobahn Richtung Salzburg. In weiser Voraussicht habe ich mir ein Paar Tage vorher schon ein „Pickerl“ für die Autobahn in Österreich besorgt.

Bis nach Graz geht die Fahrt ziemlich flott – nur eine kleine Frühstückspause wird eingelegt. Während der Fahrt hören wir die ganze Zeit Berichte über die Sonnenfinsternis, das Wetter, den Verkehr. Von Wien aus wälzt sich eine Blechlawine Richtung Totalitätszone. Etwa um 10:00 Uhr ist die Autobahn von Wien bei Wiener Neustadt komplett zu. Es geht gar nichts mehr.

Jetzt bin ich froh, dass ich nicht über Wien gefahren bin, sondern auf die Pyhrn-Autobahn Richtung Graz! Ich hatte es mir doch gedacht, dass sich Zehntausende Wiener aufmachen würden, die Totalität zu sehen.

Als wir kurz vor Graz sind, reißt die Wolkendecke auf und es wird unangenehm heiß im Auto. Es ist bereits 11:00 Uhr und nur noch etwa 20 Minuten bis zum 1. Kontakt.

Wie weit fahren wir jetzt noch? Kurze Beratung im Auto. In Graz ist die Totalitätszeit unter 1 Minute – zu wenig. Zeit ist noch vorhanden. Dann sehen wir den 1. Kontakt eben nicht, aber dafür eine längere Totalitätsphase!

Also wieder Richtung Norden. d.h. Richtung Fürstenfeld oder besser noch Hartberg, Oberwart oder gleich nach Szombately (Totalitätszeit ca. 2:20 Minuten). Das Wetter ist super, aber von Westen her kommen Schäfchenwolken, kein gutes Zeichen.

In Graz dann STAU wegen einer Baustelle. OH GOTT!

Ca. um 11:20, wir sind schon alle ganz nervös, beginnt die Sonnenfinsternis, die partielle Phase mit dem 1. Kontakt und wir stehen in Stau in Graz!

Nach ungefähr 15 Minuten geht es weiter. Die Wolken haben uns bereits überholt und wir versuchen sie wieder einzuholen. Je weiter wir nach Osten kommen desto besser wird das Wetter wieder. Richtung Ungarn ist eine riesige Wolkenlücke. Da müssen wir hin! Aber das denken sich scheinbar auch noch andere. Die Autobahn wird immer voller. Den 1. Kontakt sehen wir leider nicht.

Bei der Ausfahrt nach Fürstenzell stauen sich die Autos bereits bis auf die Autobahn zurück. Nein, wir fahren noch nicht aus – noch eine Ausfahrt weiter, denken wir uns. Die Sonne ist bereits zu ca. 25% bedeckt. Wir haben noch Zeit – aber nicht mehr lange! Nach weiteren 10 Minuten kommt die Ausfahrt Bad Waltersdorf in Sicht… und… die Ausfahrt ist gesperrt!

Mein Gott, was muss heute denn noch alles geschehen. Ich bin schon ziemlich mit den Nerven fertig und glaube schon nicht mehr daran, dass ich die Totalität sehen werde.

Weiter nach Hartmannsberg – ist ja nicht weit.

Unterwegs sehen wir auf den Autoparkplätzen und sogar auf den Standstreifen Menschen mit SoFi-Brillen zur Sonne emporblicken. Wir können nicht einmal aus dem Auto in die Sonne schauen, da ich die Brillen in einem Koffer im Kofferraum sicher (auch vor uns!) verstaut habe! Wer hätte gedacht, dass wir so weit fahren müssten, um schönes Wetter zu haben?

Plötzlich hören wir im Radio, dass sich bei Hartmannsberg die Autos bereits bis weit in Autobahn stauen. Gott sei Dank aber von Richtung Wien kommend! Gleich darauf stehen wir trotzdem auch im Stau. Die Ausfahrt ist noch ungefähr 200 Meter vor uns.

Die Sonne ist jetzt zu ca. 40% bedeckt. (Hin und wieder trauen wir uns gen Sonne blinzeln, wenn sich wieder eine Wolke davor geschoben hat). Noch haben wir etwa 45 Minuten bis zur Totalität.

Hoffentlich finde ich noch einen guten Platz bevor die Totalität beginnt. Weitere 10 Minuten später sind wir auf der Landstraße. Überall an den Straßenrändern, auf Parkplätzen, Hofeinfahrten, Feldwegen, kurz überall dort, wo ein Auto abgestellt werden kann, stehen Autos und rund herum Menschen mit Sofi-Brillen. Ein eigenartiger Anblick.

Wir befinden uns in der Zentralzone der Totalität, d.h. ca. 2 Minuten und 20 Sekunden Totalität.

Vor uns erblicke ich eine super Stelle auf einem Hügel mit freier Sicht nach Westen. Wir fahren bergauf durch Markt Allhau , biegen in die Straße, die genau auf dem Rücken des Hügels verläuft und suchen einen freien Platz am Rand der Straße. Vor uns und hinter uns mindestens 20 bis 30 Autos, aufgebaute Teleskope, Fotoapparate, beobachtende Menschen.

Es ist etwa 12:25 Uhr, als wir aus dem Auto aussteigen. Noch 20 Minuten bis zur Totalität. Das Wetter ist gut. Nur leichte Wolkenfetzen ziehen vor der Sonne vorbei, zu dünn um sie ganz zu verdecken. Wir bangen, ob die dickeren Wolken, die im Westen zu sehen sind, sich noch Zeit genug lassen.

In Windeseile werden die Gerätschaften ausgepackt, das Teleskop aufgebaut, die Fotoapparate klar gemacht, die Videokamera durchgecheckt. Die Konzentrationsfähigkeit und Ruhe ist nach mehr als 5 Stunden Fahrt natürlich dahin. Trotzdem schaffen wir es, die Geräte so gut es eben geht vorzubereiten.

Noch 10 Minuten bis zur Totalität. Endspurt! Jetzt ist endlich Zeit, die Sonne in aller Ruhe anzusehen. Die Sonnenscheibe ist schon fast ganz bedeckt. Das Sonnenlicht wird schon fahl, die Schatten scharf.

Jetzt kann ich endlich fotografieren. Ah!

Man hat den Eindruck als befinde man sich nicht im Freien, sondern in einer Fabrikhalle mit Leuchtstoffröhrenbeleuchtung. Ich blicke durch das Teleskop und bestaune die sehr schmale Sonnensichel.

Meine Kinder Sabrina (11) und Michael (8) sind voll begeistert. (Wie wird das erst während der Totalität sein?)

Der Blick durch das Teleskop sagt mir, dass die Totalität nicht mehr lange auf sich warten lässt. Die fliegenden Schatten sehen wir trotz angestrengter Beobachtung nicht.

Es wird immer dunkler. Wir beobachten alle den westlichen Himmel, die Wolkendecke verdunkelt sich. Dann sieht man den Schatten des Mondes auf den Wolken heranhuschen.

Und dann ist sie da! Die Totalität! Phantastisch. Wolkenfetzen, die über die gespenstisch aussehende schwarze Scheibe mit Strahlenkranz ziehen, verstärken noch den unwirklichen Eindruck. Es wird schnell kühler.

Die Leute um uns geben Geräusche des Erstaunens von sich. Im Ort wird ein Feuerwerk gezündet.

Die Faszination hindert mich daran in Ruhe zu fotografieren. Ich glaube nicht, dass die Fotos gut werden, dazu bin ich viel zu aufgeregt. Ich kann kaum den Blick von der verdunkelten Sonne nehmen. Ich vergesse ganz, den Filter vom Teleskop zu nehmen und wundere mich, warum ich nichts sehe.

Plötzlich ein Aufschrei meiner Frau: „Hilf mir mal, die Videokamera geht nicht!“

Ich greife mir die Kamera, teste am dämmerigen Himmel und kann gerade noch die letzten 15 Sekunden der totalen Phase mit der Kamera einfangen. Wie sich später herausstellt, ist diese Videoaufnahme die einzig gute Dokumentation der Totalität!

Wieder ein Aufschrei meiner Frau: „Vorsicht! Brillen aufsetzen!“ Das gilt unseren Kindern , die beide überwältigt auf der Straße liegend in die Sonne starren. Sie nehmen auch sofort die Brillen und setzen sie sich auf.

Und schon sind die 2,3 Minuten wieder vorbei. Viel zu schnell! Der erste Strahl der Sonne stiehlt sich am Mond vorbei auf die Erde und zwingt uns alle wieder die Brillen aufzusetzen. Weiter starren wir zur Sonne und beobachten, wie sich die Mondscheibe wieder weiterschiebt. Es wird wieder wärmer, das Licht nimmt wieder zu.

Jetzt beginnen die Menschen ihrem Erstaunen erst richtig Ausdruck zu verleihen und diskutieren aufgeregt miteinander über dieses unfassbare Ereignis.

Währenddessen schiebt sich der Mond immer weiter von der Sonne fort, doch dies interessiert kaum noch jemanden. Zu beeindruckend war doch die Totalität!

Langsam, aber kontinuierlich verlassen die Leute die Straße auf der Anhöhe. Wir bleiben bis zum 4. Kontakt und genießen das schöne, warme Wetter, auch wenn sich immer wieder große Wolken vor die Sonne schieben.

Nachdem wir unsere Geräte wieder im Auto verstaut haben, starten wir wieder Richtung Heimat. 5 Stunden Fahrt liegen vor uns. Das stört uns aber jetzt nicht mehr. Wir haben die Totalität in all ihrer majestätischen, surrealen Pracht erlebt. Das war den ganzen Aufwand leicht wert!

Zuhause angekommen erfahren wir, dass in unserem Heimatdorf, Vachendorf, genau zur Totalitätszeit am Himmel eine große Wolkenlücke die Sicht auf die Sonne ermöglicht hat. Wir hätten also gar nicht soweit fahren müssen!

Doch: Die Sonnenfinsternis wird uns wahrscheinlich gerade wegen unserer „Jagd nach der Wolkenlücke“ bestimmt immer in Erinnerung bleiben.

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 Ch. Schrankl, 16.10.1999